Donnerstag, 20 März, 2008 - 21:00
schleusen #2: Die ewige Wiederkehr des Kapitals
Vortrag von Sami Khatib (FU Berlin):
"Die ewige Wiederkehr des Kapitals. Walter Benjamins Kritik der 'homogenen und leeren Zeit'."
Der Vortrag widmet sich einem Motiv Walter Benjamins, das sich durch viele seiner Schriften, von seinen ersten Jugendschriften (1914) über sein unvollendetes Passagen-Werk (1927-40) bis in seine berühmte letzten Schrift Über den Begriff der Geschichte (1940) durchzieht. Dieses Motiv lässt sich allgemein als Kritik mythischer Zeit- und Geschichtsvorstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und frühen 20. Jahrhunderts beschreiben. Politisch geht es Benjamin - vor allem in seinen späteren, marxistisch orientierten Schriften - um eine Kritik des evolutionären Fortschrittsglaubens des Arbeiterbewegungsmarxismus, der selbst noch angesichts der Katastrophe von Faschismus und Weltkrieg auf den unvermeidlichen Sieg des Sozialismus setzte.
Doch Benjamins Kritik reicht weiter, als es sein direkter historischer Kontext zunächst vermuten lässt. Benjamins Kritik und Reformulierung des "historischen Materialismus" setzt nicht nur am fatalen Geschichtsbild einer quasi automatisch zum Kommunismus hinstrebenden Menschheit an, sondern gilt der Zeitvorstellung, die diesem auf Fortschrittsglauben und Geschichtsteleologie gegründeten Geschichtsbild zugrunde liegt: der Vorstellung einer "homogenen und leeren Zeit". Gegen einen linearen, leeren und bloß formalen Zeitbegriff entwickelt Benjamin die Vorstellung einer erfüllten, non-progressiven Zeit, die zugleich die Grundlage seiner eigenen utopisch-messianischen Geschichtskonstruktion bildet.
Benjamins genauso eigentümliche wie faszinierende Zeitkonzeption, die nicht nur in der Benjaminphilologie ausgiebig mit Blick auf ihre Ursprünge (Marxismus, Romantik, jüdische Theologie) und verwandte Überlegungen (Proust, Bergson) diskutiert wurde, wird hier allerdings nicht weiter gefolgt. Vielmehr interessiert die kapitaltheoretische Anschlußfähigkeit der Zeitkritik Benjamins. Dazu gilt es, ein weiteres Motiv aus Benjamins Kritik mythischer Geschichtszeitmodelle mit aufzunehmen: den anti-evolutionären Gedanken der "ewigen Wiederkunft des Gleichen", wie ihn Benjamin im Denken Nietzsches, Baudelaires und Blanquis aufgefunden hat. Auch hier erkennt Benjamin eine Gestalt mythischen Bewusstseins, die er in ihrer bürgerlichen Ausformung als komplementäre Ideologie zum sozialistischen Fortschrittsglauben begreift. Hier wie dort handelt es sich um letztlich mythische (Geschichts)Zeitmodelle, seien sie nun zyklisch- wiederholender oder progressiv-teleologischer Natur. Der Vortrag untersucht daran anschließend die Überlegung, ob sich Benjamins Geschichtszeitkritik an Wiederkunftsgedanken und Fortschrittglauben nicht auch positiv wenden und mit Marx als Zeittheorie des Kapitals deuten lässt. Diejenigen Momente, die Benjamin als Zeitvorstellung des traditionellen Marxismus scharf kritisiert (Fortschrittsglaube, Evolutionismus) und in seiner Kritik der "homogenen und leeren Zeit" zusammenzieht, treffen ironischerweise genau den zeitgenössischen Gegner des Marxismus: den Kapitalismus und seine Geschichtszeit.
Das Stichwort für diese Interpretation hat Benjamin selbst geliefert, indem er die Vorstellung von der ewigen Wiederkehr nicht nur als komplementäre Geschichtsmythologie des Bürgertums zur Fortschrittsrhetorik der Sozialdemokratie verstanden hat, sondern auf ihrer Rückseite "die Spur der ökonomischen Umstände" erkennt. Mit Marx lässt sich zeigen, dass die Zeit des Kapitals als vermeintlich ewige Zirkulation und Transformation von Geld in Ware und Ware in Mehr-Geld genau zwischen den Polen von ewiger Wiederkehr und linearem Progress oszilliert. Das aus der elementaren Verbindung von (Arbeits)Zeit und Geld/Kapital entspringende Zeitmaß weist genau die Merkmale einer "homogenen und leeren Zeit" auf, wie die ultimative Zeitlosigkeit eines als ewig erfahrenen Kapitalismus den Gedanken der ewigen Wiederkehr material werden lässt. Sami Khatib